Bd. 61 Nr. 10 (2019): atp magazin
Erst mit der NAMUR Open Architecture (NOA) wird der enorme Datenschatz der intelligenten Feldgeräte für die Prozessindustrie zugänglich. Durch den in der Technologie eingebetteten Second Data Channel können die Informationen rückwirkungsfrei und unabhängig vom Anlagennetz ausgelesen und Industrie-4.0-konforme Services und Konzepte endlich realisiert werden.
Die Prozessindustrie ist im Aufbruch begriffen und löst sich immer mehr von der seit vielen Jahrzehnten bestehenden Automatisierungspyramide. Die starre Hierarchie auf dem Shopfloor wird zu einer offenen Architektur, in der alle Assets miteinander kommunizieren und Daten austauschen können. Die Basis dafür bilden immer intelligentere Feldgeräte, die dank dezentral verteilter Intelligenz zu Konkurrenten bestehender Leitsystemtechnik werden, sowie neue Connectivity-Lösungen, die Informationen herstellerübergreifend und semantisch einheitlich zur Verfügung stellen.
Die NAMUR-Hauptsitzung 2019 und die Ausgabe 10/2019 des atp magazins setzen genau hier an und zeigen unter dem Motto „Enhanced Connectivity for Smart Production“, wie weit diese Entwicklung bereits vorangeschritten ist und welche Hürden die Branche noch nehmen muss.
Die Interview-Highlights:
Dr. Attila Bilgic und Dr. Thomas Steckenreiter: "Es gibt keine Tabus mehr"
Die Verschmelzung von Aktorik und Sensorik ist das erklärte Ziel von FOCUS-ON, dem neuen Joint Venture von KROHNE und SAMSON, das mit dem intelligenten Prozessknoten sein erstes Produkt vorgestellt hat. Warum es dabei um viel mehr als nur die Verbindung zweier Feldgerättypen geht, erklären Dr. Attila Bilgic, CTO der KROHNE Gruppe, und Dr. Thomas Steckenreiter, CTO der SAMSON AG, im exklusiven atp-Interview.
Dr. habil. Michael Maiwald: Wir dürfen uns nicht zu sicher werden"
Die Erwartungen der Prozessindustrie an die NAMUR Open Architecture sind groß, schließlich soll das Konzept der Garant für die digitale Transformation der Branche sein. Im atp-Interview warnt Dr. Michael Maiwald, Fachbereichsleiter „Prozessanalytik“ an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), allerdings davor, in NOA das Allheilmittel zu sehen.
Dr. Martin Augustin und Konstantin Selnack: "Der Erfolg von NOA hängt am Datenmodell"
Weil sie den rückwirkungsfreien zweiten Datenkanal im Gepäck hat, ist die NAMUR Open Architecture der große Hoffnungsträger der Prozessindustrie. Im atp-Interview geben Dr. Martin Augustin, Platforms & Digitalization Process Instrumentation bei Siemens, und Konstantin Selnack, Product Management Connectivity bei Siemens, Auskunft, wie es um die Marktreife von NOA steht und welche Hürden noch genommen werden müssen, um NOA endgültig zum Durchbruch zu verhelfen.
Die begutachteten Hauptbeiträge
Neue Automatisierungsarchitektur für die Prozessindustrie
Prozessleitsysteme sollen offen und interoperabel sein, weitgehend auf Standards aufsetzen und die IT-Sicherheit gewährleisten. Das Open Process Automation™ Forum will diesen Anspruch umsetzen. Der erste Beitrag stellt die Kernelemente der geplanten Architektur dar, berichtet über den aktuellen Stand und weitere Schritte und setzt diese Initiative in Beziehung mit den NAMUR-ZVEI-Projekten NOA und MTP.
Neues NAMUR-Arbeitsblatt 035 legt Fokus auf gesamten Lifecycle
Nach mehr als 20 Jahren hat die NAMUR das Arbeitsblatt „PLT-Planung und -Abwicklung in der Prozessindustrie“ grundlegend überarbeitet. Neue Aspekte wie moderne CAE-Systeme wurden aufgenommen, Chancen zur Parallelisierung von Tätigkeiten werden aufgezeigt und mögliche Abwicklungskonzepte mit Kontraktoren diskutiert. Eine konsequente Nutzung des NA 35 würde viele finanzielle und terminliche Misserfolge in Projekten verhindern!
First Module Type Package implementation in an industrial environment
Das seit 2014 entwickelte Konzept der modularen Automatisierung mit Module Type Packages (MTPs) ermöglicht die systemneutrale Übertragung von HMI-Systemen und Diagnose-Informationen. Entsprechende VDI/VDE-NAMUR-Richtlinien wurden veröffentlicht. Der Beitrag berichtet von einer ersten industriellen Anwendung zur Integration einer Package Unit. Sehr konkret werden die technische Implementierung und die Projekterfahrung beschrieben und Erweiterungswünsche genannt.
Software-Komponenten für intelligente Prozessknoten
Viele Ingenieure wissen, dass moderne Feldgeräte „Embedded Systems“ enthalten. Dieser Beitrag stellt anhand eines neuen Prozessknotens verständlich dar, aus welchen Softwarekomponenten ein Embedded System aufgebaut ist, z. B. aus Betriebssystem, Containern, Orchestrierung und Build Tools. Auch die Bausteine zur Kommunikation werden genannt. Die Autoren empfehlen den durchgängigen Einsatz von Open Source Software.
Mit nicht-invasiven Prüfungen Anlagenstillstände vermeiden
Die Wiederholungsprüfung von PLT-Sicherheitseinrichtungen ist aufwendig und erfordert Stillstände. Der Beitrag stellt ein Konzept vor, mit dem die Zuverlässigkeit von Sicherheitseinrichtungen mit Hilfe von Petri-Netzen ermittelt werden kann. Dies ermöglicht eine „nicht-invasive“ Prüfung der Einrichtungen und stellt Wissen bereit, mit dem Fehler weiter reduziert und damit die Anlagenverfügbarkeit gesteigert werden kann.