Bd. 65 Nr. 1-2 (2023): atp magazin
Endlich gab es wieder eine echte NAMUR-Hauptsitzung! Am 10. und 11. November 2022 fand sie nach zwei Jahren virtueller Formate endlich wieder physisch und erstmals im Dorint-Hotel in Neuss statt. In unserem umfassenden Rückblick stellen wir Ihnen ab S. 18 alle Highlights und die wichtigsten Entwicklungen rund um die NAMUR und die Prozessindustrie vor.
Unvergessen bleibt in jedem Fall das NAMUR-Bobby-Car, mit dem Marc Risser und Karl-Heinz Niemann die technischen Vor- und Nachteile von Ethernet-APL for Safety Systems vorstellten. Kein Wunder also, warum es das knallrote Rutschauto auf das Cover des ersten atp magazins des Jahres geschafft hat. Aber diese kleine Hommage hat auch einen Hintergedanken, denn mehr denn je erweitert die NAMUR ihr Netzwerk in Richtung internationaler Partner und Organisationen. Und diese Internationalisierung macht auch vor den Gremien der Interessengemeinschaft nicht Halt. Mit Frank van den Boomen, der für dieses Heft übrigens das erste englischsprachige Editorial in der atp-Geschichte verfasst hat, und Rene Neijts kommen gleich zwei NAMUR-Vorstandsmitglieder nicht aus Deutschland.
Es zeigt sich immer deutlicher: Mit MTP und NOA, aber auch den Bemühungen rund um die Verwaltungsschale, 5G und APL kann die deutsche Prozessindustrie die Zukunft der globalen Verfahrenstechnik entscheidend mitgestalten, wie das atp magazin 1-2/2023 zeigt.
Die Interview-Highlights:
"Die Digitalisierung der Safety schließt Security ein"
Die Digitalisierung der funktionalen Sicherheit stand im Mittelpunkt des Vortrags von HIMA, dem Sponsor der NAMUR-Hauptsitzung 2022. Dort erklärten die Vortragenden Jörg de la Motte, CEO, Peter Sieber, Vice President Strategic Marketing, und Sergej Arent, Director Applications, wie die digitale Transformation der Safety auch Security-Anforderungen gerecht wird. Im Interview schildern die drei Experten, worauf es dabei ankommt und wie Safety-as-a-Service Realität wird.
"Wir sitzen nicht im Elfenbeinturm"
Wenn es darum geht, Technologien in die industrielle Realität zu überführen oder weiterzuentwickeln, reichen herkömmliche Entwicklungsabteilungen oft nicht aus. Genau an dieser Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und Industrie sitzt das ABB Forschungszentrum in Ladenburg. Im Interview erklären zwei Insider, Mario Hoernicke, Senior Principal Scientist, und Dr. Heiko Koziolek, Corporate Research Fellow, wie Ihre Arbeit am Forschungszentrum aussieht und warum sie so wichtig ist.
Die peer-reviewten Hauptbeiträge:
Stolpersteine beim Motorentausch
Elektromotoren bilden einen zunehmend wesentlichen Faktor, wenn es um energieeffiziente Aktorik in der Prozessindustrie geht. Nicht nur können diese feingranular geregelt werden, ihre Elektromechanik ermöglicht es Ventile, Rührer oder Pumpen mit exakt dosierten Drehmomenten und Drehzahlen zu beaufschlagen. In diesem Work-in-Progress-Artikel beschreiben die Autoren wesentliche Randbedingungen und Auslegungsschritte beim Tausch von Motoren im Brownfield. Der Fokus liegt dabei auf Drehstromasynchronmotoren, deren Wirkungsgrad modernsten internationalen Anforderungen entspricht.
KI4Safety - aber sicher!?
Angefangen von höherwertigen statistischen Auswertungen bis hin zu komplexen Deep-Learning-Methoden findet KI zunehmend den Weg aus der Forschung in die industrielle Praxis. Gleichzeitig bilden Verfahren der Künstlichen Intelligenz nach wie vor eine hohe Unsicherheit in Bezug auf deren Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit. Ergebnisse oder der Weg dahin können oftmals nicht vorhergesagt werden. Undenkbar, dies im Bereich der funktionalen Sicherheit einzusetzen? Bis jetzt! In diesem Work-in-Progress-Beitrag werden die relevanten Begriffe der Erklärbarkeit, Interpretierbarkeit und Transparenz in den Kontext des Einsatzes im Sicherheitsbereich gesetzt und bzgl. des Risikos bewertet.
Angriffserkennung auf kritische Infrastruktur
Dass Cyberangriffe vor Anlagen der Prozessindustrie nicht haltmachen, ist allseits bekannt. Wichtig dabei ist es, die Cyber-Angriffe frühzeitig zu erkennen. In diesem Artikel beschreibt der NAMUR Arbeitskreis 4.18 „Automation Security“ die Inhalte seines Praxisdokuments „Angriffserkennung nach IT-Sicherheitsgesetz 2.0“. Dabei werden gängige Methoden zur Identifikation von Cyber-Angriffen beschrieben und entsprechende Hinweise bzw. Einschätzungen der NAMUR ergänzt. Der Fokus liegt dabei auf der Sensibilisierung sowie auf nachvollziehbaren Guidelines. Ein Beitrag aus der Praxis für die Praxis.
NOA Security auf dem Prüfstand
Die Veröffentlichung der NAMUR-Empfehlung 177 und damit die Empfehlung zum NOA-Security-Konzept liegen mehr als ein Jahr zurück. Was hat sich seither getan und wie sehen die am Markt verfügbaren Lösungen aus? Die Autoren beschreiben in diesem Work-in-Progress-Beitrag beispielhafte Security-Umsetzungen in der IDEA-Anlage, die mithilfe von professionellen Penetrationstests validiert wurden. Firewalls, Ports und webbasierte Anmeldungen – alles wird einem Stresstest unterzogen und auf Herz und Nieren geprüft.
The Next Generation: Ethernet-APL for Safety Systems
Mit dem seit der letzten NAMUR-Hauptsitzung zum Synonym für sichere Kommunikationstechnik gewordenen Bobbycar haben Mark Risser und Karl-Heinz Niemann einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dieser Vollbeitrag bildet nun die ausführlichere Verschriftlichung ihres Plenarvortrags und damit die Möglichkeit, die Erkenntnisse nachzuvollziehen. Im Kern des Beitrags steht die sichere Übertragung von Daten auf Basis des Black-Channel-Prinzips, welche am Beispiel von PROFINET und PROFIsafe erläutert wird. Auch der vergleichsweise einfach werdende Wechsel eines Feldgeräts von der Standard-DCS-Applikation in einen Sicherheitsbereich wird dargestellt. Den Abschluss des Beitrages bilden nach wie vor bestehende Herausforderungen für APL in Sicherheitssystemen.
Anwendung der Verwaltungsschale in der Prozessindustrie
Der Weg der Verwaltungsschale in die Industrie nimmt, nicht zuletzt seit der Gründung der IDTA, maßgeblich an Fahrt auf. Auch die NAMUR hat im November 2021 den Arbeitskreis AK 1.4 „Verwaltungsschale“ gegründet, um die Anwendung der VWS in der Prozessindustrie zu prüfen. In diesem Vollbeitrag beschreiben die Autoren erste Ergebnisse und Use Cases zur Anwendung der VWS im Engineering von PLT-Stellen sowie beim Tausch von Geräten. Dabei gehen die Autoren sowohl auf aktuell bestehende Möglichkeiten der Architektur von VWS als auch auf deren notwendige Teilmodelle ein. Im zweiten Beitragsteil werden Plattformen für den Austausch von VWS diskutiert.